Nach der Homeoffice-Pflicht
Ende Juni läuft die Homeoffice-Pflicht aus. Wie geht es weiter?
Kanzleramtschef Helge Braun lässt die Homeoffice-Pflicht auslaufen. Ab Juli sind Arbeitgeber nicht mehr verpflichtet, Mitarbeitenden anzubieten im Homeoffice zu arbeiten. Wir betrachten Vor- und Nachteile des Homeoffices aus verschiedener Perspektive und schauen uns an, wie das Arbeiten im Büro von morgen aussehen könnte.
Vorteile aus Sicht der Mitarbeiter
Es gibt eine große Anzahl Studien darüber was die Mitarbeitenden positiv mit dem Arbeiten im Homeoffice verbinden. Boston Consulting Group z.B. lässt diese in zwei Hauptgruppen einteilen:
- Erhöhtes Wohlbefinden durch die Möglichkeit die Arbeitsumstände flexibler zu gestalten
- Reduzierte Lebenskosten
Nicht Pendeln zu müssen, ein Faktor, der bei den meisten Studien als sehr wichtig eingeschätzt wurde, findet sich in beiden Gruppen. Die Zeit, die sonst für das Pendeln benötigt wurde, kann für andere Dinge wie z.B. Familie, Haustiere oder Hobbies verwendet werden. Außerdem entfallen stressige Situationen, wie z.B. überfüllter ÖPNV oder Stau und zähfließender Verkehr. Die Kosten für das Pendeln entfallen und in gewissen Situationen kann auch komplett auf das Auto oder den Zweitwagen verzichtet werden.
Viele Mitarbeitende im Homeoffice empfinden, dass sie außerhalb des Büros effizienter arbeiten können. Dies liegt zum großen Teil daran, dass Lärm und Ablenkungen reduziert sind, aber auch daran, dass die Mitarbeitenden ihre eigene (und entspanntere) Arbeitsumgebung schaffen können. Auch die Möglichkeit Freizeitkleidung, statt Business-Outfit zu tragen, wird als positiver Faktor benannt.
Durch die flexible Handhabung der Arbeitszeiten, ist es möglich die Arbeit um die Familie herum zu planen. Wenn beide Eltern die Möglichkeit haben im Homeoffice zu arbeiten, können sie sich abwechseln und so die Kosten für Kinderbetreuung reduzieren. Pausen können z.B. für das Gassigehen mit Hund Poldi genutzt werden oder um die Wäsche aufzuhängen und man kann mit der Familie gemeinsam zu Mittag essen. In Summe, sagen die Mitarbeitenden, bleibt mehr Zeit für positive Aktivitäten wie z.B. Hobbies und Sport übrig.
Durch das „Arbeiten von Überall“ ist es nicht zwingend notwendig bei einem Arbeitgeberwechsel umzuziehen. Auch ist es vorstellbar aus der teuren Großstadt aufs Land zu ziehen und damit Lebensstandard zu erhöhen und -kosten zu reduzieren.
Vorteile aus Sicht der Arbeitgebenden
In ihrer Studie weist BCG darauf hin, dass die erhöhte Produktivität einer der großen Vorteile der Distanzarbeit für die Arbeitgebenden ist. Diese erhöhte Produktivität, so BCG, hat drei Ursachen:
- Verstärkter Fokus auf die Arbeit
- Erhöhte Flexibilität
- Reduzierte Fehlzeiten.
Wie wir bereits bei den Mitarbeitenden gelesen haben, entfällt der Störfaktor Büro und dies lässt die Konzentration steigen. Besonders gilt dies bei Aufgaben, die der Mitarbeitende allein bearbeitet und/oder eine erhöhte Aufmerksamkeit erforderlich ist.
Durch die flexible Gestaltung von Arbeitszeit und -platz, können die Mitarbeitenden selbst ihre Arbeitsbelastung steuern und verteilen. So können z.B. Überstunden reduziert werden.
Auch die Fehlzeiten können durch Arbeiten auf Distanz reduziert werden. Da Motivation und Engagement deutlich gesteigert sind führt ein leichtes Gesundheitsproblem nicht gleich zur Krankmeldung. Das gleiche gilt, wenn die Kinderbetreuung ausfällt.
Die Attraktivität des Arbeitgebenden steigt, wenn die Möglichkeit zur Distanzarbeit angeboten wird. Dies ist besonders wichtig in Anbetracht des Fachkräftemangels. Oft wird diese Möglichkeit als Arbeitnehmerrecht gesehen. Geschätzt möchten ungefähr die Hälfte aller Mitarbeitenden, über alle Alternsgruppen hinweg, mindestens einen Tag pro Woche außerhalb des Büros arbeiten.
Auch die Auswahl von potentiellen neuen Mitarbeitenden wird größer, da diese nicht zwingend umziehen müssen, um die Position einnehmen zu können.
Wenn weniger Menschen im Büro arbeiten, kann Bürofläche reduziert werden oder anderweitig genutzt werden. Sogar eine Umsiedlung von teuren City Büroflächen zu einem günstigeren Standort ist denkbar.
Vorteile aus Sicht der Gesellschaft
Nicht nur die Arbeitnehmenden und -gebenden können von Distanzarbeit profitieren. Auch unsere Gesellschaft kann Nutzen daraus ziehen.
Hier möchte ich besonders die Nachhaltigkeit und Anforderungen an Klimaneutralität hervorheben. Besonders in Europa wird das Pendeln hauptsächlich mit dem eigenen Pkw durchgeführt. Ein nicht unerheblicher CO2-Ausstoss könnte durch das Arbeiten im Homeoffice reduziert werden.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der regionale Strukturwandel. Die Abwanderung aus strukturschwachen Regionen und ländlichen Gebieten könnte eingebremst werden, wenn die Mitarbeitenden auf Distanz arbeiten könnten. Gleichermaßen würde auch die Möglichkeit bestehen, aus der Großstadt herauszuziehen, was den Druck auf unsere Städteplaner bzgl. Wohnungsnot, Schulen und Kitas oder ÖPNV reduzieren würde.
Auch Menschen, die heute vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, z.B. durch Pflege von Angehörigen, könnten leichter eine Arbeit finden und so einen wirtschaftlichen Beitrag durch Steuern leisten.
Nachteile aus Sicht der Mitarbeiter
Von Zuhause aus zu arbeiten, bringt wie eben dargestellt, viele Vorteile mit sich. Es ergeben sich jedoch auch neue Arten von Stress und Probleme im Arbeitsumfeld.
In vielen Studien wird als erstes benannt, dass es schwierig ist, Beruf und Privates zu trennen. Gerade Arbeitszeit und Freizeit fließen ineinander, sodass ein Gefühl vom nie richtig „Freizuhaben“ entsteht. Der Prozess des Abschaltens, z.B. durch die räumliche Bewegung vom Arbeitsplatz bis nach Hause wird erschwert.
Die Mitarbeitenden im Homeoffice fühlen sich häufig isoliert, wenn das tägliche Zusammensein mit den Kollegen entfällt oder digitalisiert wird. Stress und Probleme werden so schwieriger zu bewältigen.
Viele Mitarbeitenden befürchten, Karrierechancen, Weiterbildungsmöglichkeiten und Netzwerken durch das Arbeiten im Homeoffice zu verpassen. Sie fühlen sich oft ungesehen und vergessen. Dies ist besonders der Fall bei Blended Teams.
Wenn das Arbeiten auf Distanz nicht klar geregelt ist, leidet oft das Leadership. Hieraus entsteht Unsicherheit und die Motivation schwindet.
Auch das physische Arbeitsumfeld kann sich schwierig darstellen. Hier geht es nicht nur um einen mangelhaften ergonomischen Arbeitsplatz, sondern z.B. auch um nicht wahrgenommene Pausen oder weniger Bewegung, wenn das Laufen zum Bus oder zur Bahn entfällt.
Nachteile aus Sicht der Arbeitgebenden
BSG hat in ihrer Studie viel große Herausforderungen bei der Distanzarbeit identifiziert:
- Risiko der geminderten Produktivität
- Verlust des Teamgeistes
- Integration von neuen Mitarbeitenden
- Verlangsamung der Innovationsgeschwindigkeit.
Beim Thema Produktivität steht vor allem das Leadership in Fokus. Viele Führungskräfte finden es schwierig Teams und Mitarbeitende aus der Ferne zu führen und statt echter Delegation und Empowerment, rutschen sie in Mikromanagement und Kontrolle herab.
Ohne die spontanen persönlichen Interaktionsquellen wie z.B. Kaffeeküche, Kopiergerät oder gemeinsames Mittagessen, können informelle Bindungen, Empathie und Vertrauen in Mitleidenschaft gezogen werden. Dies kann zu Kommunikationsprobleme und Aufbau von Silo-Denken führen.
Die altbewährten Konzepte für Einarbeitung von neuen Mitarbeitenden funktionieren oft nicht bei Distanzarbeit. Sie setzen häufig auf ein „Über-den-Schulter-Schauen“, was auf Distanz nicht mehr möglich ist. Auch die informelle Aufnahme der Unternehmenswerte und der Unternehmenskultur durch verschiedene soziale Aktivitäten ist erschwert.
Während das Arbeiten auf Distanz bei der Aufrechterhaltung von „Business as usual“ sich gut bewährt hat, zeigt es sich beim Start von neuen Projekten, Produkten und Ideen eher mangelhaft. Gerade die Möglichkeit zu unstrukturierter Innovation, also Innovation, die entsteht, wenn Menschen ohne vorbestimmten Zweck miteinander interagieren, ist nicht automatisch gegeben.
Nachteile aus Sicht der Gesellschaft
Die Leerstände von Büroräumen in den sieben größten deutschen Städten steigen an, auch wenn ein kritisches Niveau noch nicht erreicht ist. Wenn sich der Trend Richtung mehr Homeoffice fortsetzt, wird hier sicherlich demnächst Handlungsbedarf entstehen.
Post-Corona Arbeitsplatz-Modelle – wie sieht das Arbeiten im Büro Morgen aus?
Wie können wir uns das Arbeiten im Büro der Zukunft vorstellen? Harvard Business Review präsentiert in einem Artikel ein Modell mit fünf Kategorien der Büroarbeitsplätze. Diese Kategorien sind aus einer Studie in Australien entstanden, da man dort bereits Post-Pandemie zurück in den Büros geht. Die Kategorien sind:
- So wie immer – bis auf erhöhte Hygienestandards sind die Büros wie vor der Pandemie, es wird wieder mit regulären Arbeitszeiten gearbeitet und die Zentrale ist der Nabel der Arbeitswelt.
- „Das Vereinsheim“ – dies ist ein Hybridmodell, wo die Mitarbeitenden auftauchen, wenn sie etwas gemeinsam erarbeiten müssen und wieder Zuhause arbeiten, wenn sie allein konzentriert arbeiten wollen. Also eine Art sozialer Treffpunkt.
- Aufgabenbasiertes Arbeiten – Die Mitarbeitenden arbeiten im Büro, haben aber keinen bestimmten Arbeitsplatz. Stattdessen bewegen sich die Mitarbeitenden mit der Aufgabe, vom Besprechungszimmer zu Telefonkiosken, zu Hot Desking oder Lounges.
- „Naben und Speichen“ – Statt immer zu der Unternehmenszentrale in der Stadtmitte zu pendeln, gibt es in den billigeren Vororten kleinere Büroräume. Das spart Kosten (weniger Büroraum in der teuren Innenstadt für das Unternehmen und kurze Pendelwege für die Mitarbeitenden) und erlaubt den persönlichen Kontakt.
- 100% virtuell – Die Mitarbeitenden arbeiten komplett von Zuhause (oder wo sie auch wollen) und die Unternehmen können sich von teuren Bürokomplexe trennen.
BCG nimmt einen anderen Approach bei ihren Remote-Work-Modell. Ausgehend vom Gesamtziel kombinieren sie den Umfang der Distanzarbeit mit dem Grad der Flexibilität. Hieraus entstehen vier verschiedenen Bereiche:
- „Bonus-Distanz“: Die Mitarbeitenden sind 1-2 Tage/Woche im Homeoffice und müssen sich mit den Kollegen abstimmen. Dieses Model soll die Mitarbeitermotivation fördern und ist das Einstiegmodell für komplexere Modelle.
- „Verstärkte-Distanz“: Die Mitarbeitenden sind 1-5 Tage/ Woche im Homeoffice entsprechend einer vordefinierten Rotation. Ziele sind Einsparungen bei der Bürofläche und gesteigerte Mitarbeitermotivation
- „Design-Distanz“: 4-5 Tage/ Woche oder 2 Wochen/Monat im Homeoffice. Voraussetzung ist Anwesenheit bei besonderen Anlässen. Ziel ist Mitarbeiter-Empowerment und signifikante Einsparungen bei der Bürofläche.
- „100%-Distanz“: Die Mitarbeitenden besuchen die Unternehmenszentrale nur einige Male pro Jahr. Ziel ist es, neue bisher unerreichbare Talente (aus anderen Regionen und Länder) zu erreichen und Bürofläche auf ein Minimum zu reduzieren.
Zusammenfassung
Wie so oft, läuft es auf ein „Sowohl als auch“ hinaus. Je nach Unternehmensziel, Aufgabenbereich und den Menschen, die dahinterstehen, können und müssen unterschiedliche Modelle für Distanzarbeit entstehen. Homeoffice als die ultimative Lösung zu sehen alternativ es komplett abzulehnen ist nicht der richtige Weg. Wir empfehlen daher die folgenden drei Schritte:
- Unternehmensanalyse. Welche Vorteile des Distanzarbeitens unterstützen meine Unternehmensziele? Wie kann ich negative Auswirkungen reduzieren? Was erhoffe ich mir dabei?
- Aufgabenanalyse. Gibt es besondere Bereiche oder Aufgaben, die sich besonders gut für Distanzarbeit eignen. Gibt es welche, für die es auf jedem Fall zu vermeiden ist? Welches Modell funktioniert am besten für welche Aufgaben?
- Reifegrad der Mitarbeitenden. Und zwar persönlich wie technisch. Sind meine Führungskräfte gut für das Leadership auf Distanz gerüstet? Und habe ich dafür gesorgt, dass meine Mitarbeitenden im Homeoffice mit den neuen Stressoren gut umgehen können. Zu diesem Thema empfehle ich auch meinen Artikel „Mitarbeitende im Homeoffice. Wie stellst Du sicher, dass Dein Team zufrieden und leistungsfähig bleibt?“
Mehr zu dem Thema Homeoffice und die Herausforderung vom Remote Leadership findest Du in meinem Artikel „Mitarbeitende im Homeoffice. Wie stellst Du sicher, dass Dein Team Leistungsfähig bleibt“
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Bis demnächst, Caisa & Hans